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Beitrag vom 03.08.2023
OFEK e.V.: Höchstzahl an Beratungsanfragen nach antisemitischen Vorfällen – im Sozialraum Schule zeigt sich Antisemitismus in mehreren Formen
AVIVA-Redaktion
Im Durchschnitt gab es von Juli 2022 bis Juni 2023 mindestens eine Beratungsanfrage bei OFEK e.V. am Tag – Höchstzahl seit Etablierung der Beratungsstelle und Anstieg von über 30 Prozent. Die neue Beratungsstatistik von OFEK e.V. zeigt einen wachsenden Bedarf von Jüdinnen*Juden in Deutschland, Antisemitismuserfahrungen nicht hinzunehmen und ihre Rechte durchzusetzen.
Von Juli 2022 bis Juni 2023 gingen bei OFEK e.V. 369 Beratungsanfragen ein – 87 mehr als im Vorjahr (282). In jedem zwölfmonatigen Abschnitt seit 2017 stieg damit das Anfrageaufkommen. In den meisten Fällen wendeten sich Ratsuchende an OFEK e.V. im Zuge antisemitischer Vorfälle (309), nannten aber auch andere Formen von Diskriminierung und Ausschluss wie Rassismus (34). Bei 181 der 309 Anfragen zu Antisemitismus schilderten die Ratsuchenden zwei oder mehr konkrete Vorfälle oder gar über einen längeren Zeitraum andauernde Fallkomplexe.
Die meisten dieser Vorkommnisse fanden online (in 106 Fällen) oder in öffentlichen Räumen (60) statt, wo Ratsuchende z.B. Antisemitismus erlebten, als sie als jüdisch identifizierbar waren. Doch erreichten OFEK auch zahlreiche Anfragen zu antisemitischen Vorfällen im persönlichen Nahbereich wie dem eigenen Wohnumfeld oder dem Familien- und Freundeskreis (57). Weiterhin bleibt die Zahl der Anfragen zu Vorkommnissen im Bildungsbereich hoch (59) – OFEK e.V. nahm allein in den letzten zwölf Monaten 43 Beratungen zu häufig komplizierten Fallzusammenhängen an Schulen vor. Verschiedene Formen von Diskriminierung im Sozialraum Schule gehören zum Alltag vieler jüdischer Familien.
Wie in den letzten Jahren wandten sich Ratsuchende an OFEK e.V. häufig im Zusammenhang mit aktuellen gesellschaftspolitischen Anlässen. Ratsuchende beklagten bei 21 Anfragen Benachteiligung oder Verbalattacken, die im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg auf Ukraine standen, bezogen sich in 11 Fällen auf Verschwörungsmythen rund um die Corona-Pandemie und nahmen in sechs Fällen Beratungen zu antisemitischen Vorkommnissen auf der letztjährigen Documenta wahr.
Auffällig: Fast 90 % der Beratungsanfragen erreichten OFEK in den Bundesländern, in denen OFEK-Standorte aktiv sind: Berlin bzw. Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. OFEK e.V. ist mit der täglich geschalteten Hotline telefonisch oder digital zwar bundesweit erreichbar, doch die größere Nähe zu jüdischen und zivilgesellschaftlichen Organisationen vor Ort führt dazu, dass der Beratungsbedarf erkannt und artikuliert wird. Es zeigt, dass die lokale Intervention und die räumliche und soziale Nähe wichtige Faktoren sind, um die Inanspruchnahme der Beratung zu erhöhen. Es ist anzunehmen, dass der Bedarf an Unterstützung in den restlichen Bundesländern nicht geringer ausfällt.
Stimmen zur Veröffentlichung der Beratungsstatistik von OFEK e.V. von Juli 2022 bis Juni 2023
Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland:
"Antisemitismus trifft Juden leider immer häufiger in ganz alltäglichen Situationen; ob beim Surfen im Netz oder sogar im eigenen Freundeskreis. Gerade die Vorfälle im öffentlichen Raum, wie der Schule, dem Arbeitsplatz oder auf offener Straße, sind für die Betroffenen traumatische Erlebnisse. Die wertvolle Arbeit der OFEK-Beratungsstellen hilft dabei, mit dem Erlebten umzugehen und ermutigt auch, Diskriminierung nicht einfach hinzunehmen."
Dr. Felix Klein, Beauftragter der Bundesregierung für jüdisches Leben und den Kampf gegen Antisemitismus:
"In der Debatte um Antisemitismus wird häufig leider zu wenig beachtet, dass antisemitische Gewalt Folgen hat und Jüdinnen und Juden auch jenseits von Antisemitismus Diskriminierung erleben können. Dagegen stärkt OFEK das Bewusstsein für die Wirkung dieser Gewalt und schafft professionalisierte Unterstützungsangebote. Wie hoch in ganz Deutschland der Bedarf danach ist, führen uns jedes Jahr aufs Neue die Statistiken von OFEK und die konstant wachsende Zahl der Beratungsanfragen vor Augen."
Marina Chernivsky, Geschäftsführerin OFEK e.V. – Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung:
"Auch in diesem Jahr verzeichnet OFEK bundesweit einen Anstieg an Beratungsanfragen. Das hohe Beratungsaufkommen werten wir als Zeichen des Vertrauens und gleichzeitig als Hinweis auf die sich verdichtende Aktualität und Bedrohung antisemitischer Diskriminierung. Die Bandbreite der Beratungsfälle bezieht sich auf verletzendes Verhalten bis hin zu Übergriffen und extremer Gewalt, die sich unter anderem in sozialen Institutionen, nicht zuletzt an Schulen und Hochschulen, ereignen und so zum Alltag gehören. Das primäre Anliegen von OFEK seit der Gründung ist die Beratung von Ratsuchenden und ihren Angehörigen. Gleichwohl sehen wir es als unsere Aufgabe für die Aktualität und Brisanz des Antisemitismus zu sensibilisieren und strukturelle Veränderungsprozesse zu bewirken. Hierfür ist das Bewusstsein für und die Einbindung von jüdischen Erfahrungen und Perspektiven unverzichtbar."
Ãœber OFEK e.V.
OFEK e.V. ist eine Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung mit Sitz in Berlin und bundesweiter Ausrichtung. OFEK e.V. berät alle Fälle von Antisemitismus ungeachtet ihrer strafrechtlichen Relevanz und bietet der jüdischen Gemeinschaft Unterstützung bei Antisemitismus und Diskriminierung an. Das Beratungsteam bietet Einzelfallberatung, Gruppenangebote, Fachberatung für Institutionen in Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Sachsen-Anhalt und Sachsen an. Darüber hinaus ist OFEK e.V. Träger der Meldestellen für antisemitische Vorfälle RIAS Sachsen-Anhalt und RIAS Sachsen.
Die Beratungsstatistik von OFEK e.V., Beratungsstelle bei antisemitischer Gewalt und Diskriminierung ist online unter: www.ofek-beratung.de
Die seit Juli 2017 aktive Beratungsstelle veröffentlicht jedes Jahr im Rahmen der "OFEK week" eine Statistik der Beratungsanfragen und -prozesse im zwölfmonatigen Zeitraum. Die sechste Beratungsstatistik von OFEK e.V. kann unter www.ofek-beratung.de/materialien eigensehen werden.
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(PRESSEMITTEILUNG, 28.02.2022)
Pressemitteilung zur Beratungsstatistik von OFEK e.V. zwischen Juli 2022 und Juni 2023, Berlin, 31.07.2023